Aus der Rolle gefallen

November

Alles sieht besser aus, wenn man nicht hinsieht. Genau aus diesem Grund vermeide ich seit genau 47 Tagen und circa 6 Stunden jeglichen Kontakt zur Außenwelt, der auch nur in der geringsten Verknüpfung zu ihm führen könnte. Mein Facebook ruht unberührt in den Tiefen des Internets, öffentliche Plätze haben ihre Anzugskraft auf mich völlig verloren, und seine Nummer wird mein Handy dank modernster Block-Techniken in den nächsten hundert Jahren auch nicht mehr erreichen können. Er existiert nur noch in meinen Gedanken, die bleischwer auf mir liegen, und mich zerdrücken, so klein machen, als wäre ich Luft. Ich schaue mich um, die Straßen sind voll mit leeren Menschen und rauschen an mir vorbei, nur ich habe das Gefühl, dass ich einfach nicht weiter komme, nicht voran. Meine Welt steht still, und während andere das Angebot des Lebens auskosten, verbringe ich meine Zeit damit mir vorzustellen, wie es wäre, wenn. Wenn er noch da wäre und alles nicht passiert wäre, wenn er jetzt bei mir sein würde und den leeren Teil in mir wieder füllen würde, der mal seiner war. Doch nun ist alles anders, das Leben ist kein Film den man zurückspulen kann um das Ende nicht zu sehen, sondern man bleibt sitzen, und wartet darauf, dass doch noch das ersehnte Happy End eintritt, klammert sich an den wenigen Erinnerungen fest die noch geblieben sind und doch zu viele sind.

Er hatte mir damals gesagt, „es seie ja nicht meine Schuld“, „wir hätten uns einfach verändert ohne es wirklich  zu wissen oder zu merken“, „wir haben aneinader vorbei gelebt“, sagte er, „und nun wäre es einfach nicht mehr genug“. Gegen diese Art von Ende kann man weder etwas sagen, noch etwas machen, und so kam es, dass ich nach 2 Jahren „wir beide bis ans Ende unserer Tage“ zu dem Schluss kam, dass Herzen vielleicht wirklich nur da sind, um Blut zu pumpen. Die Tage danach waren pechschwarz, und ich rief ihn nachts panisch an, weil ich dachte, ich hätte alles vielleicht doch nur geträumt. Ich fragte ihn, ob es jemand anderen gäbe, und er hatte geantwortet, dass ich keine Fragen stellen soll, dessen Antwort ich nicht ertragen würde.

 

Januar

Das Gefühl der Ersetzbarkeit mag das wohl Grausamste aller Gefühle sein. Es schleicht sich in unsere Körper und breitet sich aus wie ein Urknall, hinterlässt nichts als Trümmer. Ich wusste wer sie war, ihr Name war genau so dämlich wie die Wahl ihrer Kleidung und ich redete mir stets ein, das sie ein Wesen von purer Bedeutungslosigkeit war. Aus Protest, vielleicht auch aus Prinzip. Meine neue Lieblingsbeschäftigung ist neuerdings, mit Freunden die sich mit mir verschworen haben, sämtliche Gründe dafür zu finden, warum man sie nicht mögen sollte, und doch überflutet mich jeden Abend in meinem Bett eine Welle von einem Gefühl, dass sich weder beschreiben noch erklären lässt, und hinterlässt meinen Körper mit einer furchtbaren Leere, der sogar noch ein Vakuum etwas abgewinnen könnte. Morgens vor der Schule wenn ich vorm Spiegel stehe male ich mir dann wie gewohnt Selbstwertgefühl um die müden, traurigen Augen herum und werde besser darin, wieder mitzulachen wenn meine Freunde sich lustige Geschichten erzählen. Es wird erzählt, wie viel wer am Wochenende getrunken hat, und dann wird darüber gelacht, dass die Kopfschmerzen warscheinlich darauf hin zurückzuführen sind, dass eins der 30 Bierchen wohl schlecht gewesen sein muss. Meine Freunde meinen eh, es wäre mal wieder an der Zeit für mich, sich ins Leben zu stürzen, also kam ich am folgenden Samstag Abend mit in eine Bar, auf deren Tür eigentlich so etwas wie „Schlampen solange der Vorrat reicht“ hätte stehen müssen. Die Mädchen, die dort auf die niedrigsten Weisen versuchten, sich etwas Selbstvertrauen zu ergattern halte ich für schrecklich dämlich und gleichzeitig irgendwie amüsant, was mir den Abend so recht unterhaltsam machte. Irgendwann, kurz bevor ich eigentlich vorhatte zu gehen, fing jemand plötzlich an, meinen Namen zu rufen. Ich drehte mich um.
Ein ehemaliger Schulfreund stand ein paar Meter von mir entfernt, und doch hatte ich das Gefühl, nicht genug Platz um mich zu haben, Ich fühlte mich eingedrängt und war mir nicht sicher, wie ich reagieren sollte.
„Hallo“, sagte er und lächelte. „Lange her, nicht wahr?“
„Ja. Das stimmt.“ Ich wollte nicht abweisend wirken, gab mir alle Mühe freundlich zu klingen und doch fühlte sich alles, das meinen Mund verließ an, als wäre ich der gelangweilteste und uninteressierteste Mensch dieses Planeten. Wir redeten eine Weile miteinander, und irgenwann fiel mir dann auch wieder sein Name ein, Jakob. Als er mich fragte, wie es mir denn so ergangen sei in der letzten Zeit, sagte ich nur „Gut“, die wohl am häufigsten gebrauchte Lüge, und versuchte fest, mir diese zu glauben.

„Hast du Lust mal was zu machen? Am Wochenende, ich lad dich ein, auf einen Kaffee?“ fragte er, und versuchte mir eine Antwort aus den Augen zu ziehen, die ich jedoch angespannt darauf ausrichtete, genau dies nicht zu tun. 
„Ich kann nicht“, sagte ich relativ abrupt. „Ich bin gerade einfach zu beschäftigt, meine Rolle als Ich wieder auszufüllen.“

„Wie meinst du das, Rollenkonfusion oder wie?“ Das Wort Verständnislosigkeit hätte auch dick und breit auf seinem Kopf stehen können, so voller Fragen schaute er mich an.

„So ähnlich, ja.“

 

März

Desinteresse ist die grösste Provokation. Doch plötzlich steht da die Person, an die Ich am meisten gedacht und am wenigsten gesehen, am meisten gehasst und trotzdem geliebt habe, die Person die mir die Fähigkeit genommen hatte, glücklich zu sein. Er schlenderte ebenso provokant wie selbstverständlich die Fussgängerzone entlang, hatte die Mütze tief in die Stirn gezogen und wippte mit den Schultern ein wenig hin und her, im Takt zu der Musik, die durch seine Kopfhörer strömte. Mein Körper war wie gelähmt und ich stand einfach da und schaute ihn an, und plötzlich wusste ich, warum Ich ihm die ganze Zeit aus dem Weg gegangen war. Ich hätte Ihm jeden Fehler verziehen.

An der Ampel blieb er stehen, hob den Kopf und seine Augen trafen meine, einen Zebrastreifen zwischen uns. 
Meine Gedanken waren ein Gemisch aus Wut, Interesse, Trauer und überraschenderweise, Gleichgültigkeit. 
Da stand er also, äußerlich unverändert, mit den selben Schuhen wie damals, der selben schrecklichen Haltung und dem selben, unausweichbaren Blick. 
Danach ist nicht viel mehr passiert, wir haben kurz Hallo gesagt und sind aneinander vorbeigegangen, als wären wir flüchtige Bekannte, und ich hatte mir gedacht, das wir viel mehr auch nicht mehr waren.
Erschöpft ging ich nach Hause, ich wusste nicht wieso, aber ich war auf einmal schrecklich müde.

Müde vom Nichtstun, Nichtssein, vom Nichtslieben und Nichtsleben.

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